Flexibles Sitzen (3): Flexible Arbeitsphasen wagen

In meinen letzten beiden Beiträgen über das „Flexible Sitzen“ haben wir gemeinsam das Zimmer ausgeräumt, eine zentrale Mitte geschaffen (siehe Teil 1), sowie mit den Kindern zusammen SchülerInnenbüros eingerichtet (siehe Teil 2). Dass Unterricht unter diesen Bedingungen anders laufen kann – ja vielleicht sogar muss, wenn wir uns an den neuen pädagogischen Standards und dem Wissen über Lernen orientieren wollen-, ist nun eine logische Konsequenz. Den Raum als Lernort zu (er-)leben, gehört genauso dazu, wie das eigenständige Gestalten durch die Kinder.

Der Morgenkreis – ein schülergesteuertes Ritual

Ich starte am liebsten, indem ich den Tagesbeginn in die Hand der Kinder lege. Nach einem Signal versammelt sich die Klasse im Kreis (ich nehme entweder als Gast teil oder bereite mich noch vor) und ein Morgenkreis-Chef führt durch das Ritual. Begrüßung, Anwesenheitskontrolle (wir nehmen einander wahr!), Datum, Tagesablauf, anstehende Termine, ein Rätsel, Präsentation eines Mini-Buchtipps – all das ist Teil der ersten 10 bis 15 Tagesminuten. Auch ich bekomme das Wort erteilt und kann Neuigkeiten, wichtige Informationen oder aber auch mein eigenes Befinden kurz mitteilen. Die Kinder übernehmen hier selbst die Verantwortung, achten aufeinander, es kann auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden, Probleme vom Vortag können kurz thematisiert werden und vieles mehr. Ich investiere diese Zeit der Partizipation, des ganzheitlichen Lernens, sehr gerne!

Die Karten helfen, den Morgenkreis zu strukturieren und geben Sicherheit. (Foto: Lisa M.)

Arbeitsphasen gestalten

Nach gemeinsamen Einführungen oder Wiederholungen im Sitzkreis entlasse ich die Kinder normalerweise in Arbeitsphasen. Diese sind entweder klar durch ihre Aufgaben vorgegeben oder orientieren sich an Wochenplan-Zeiten und die SchülerInnen arbeiten an unterschiedlichen Themen. Prinzipiell ist es mir für die allgemeine Entlastung wichtig, dass die Aufgaben schriftlich festgehalten sind, ob an der Tafel oder einem (individuellen) Arbeitsplan ist nebensächlich. Auch die Möglichkeit zur Selbstkontrolle lege ich vorher fest und ritualisierte Symbole und Orte im Klassenzimmer helfen, dass sich die Kinder orientieren können. Nach der Selbstkontrolle kommt jedes Kind zu mir und wir besprechen die Aufgaben kurz. Durch die räumliche und strukturierte Entlastung habe ich so die Zeit, mit jedem Kind ein sofortiges Feedback auszutauschen und ggf. zu reagieren, Hilfsmittel anzubieten, zu motivieren, Erklärungen zu geben oder anzuspornen.

Doch wie arbeiten die Kinder? Zu Beginn jeder Arbeitsphase stellen sie sich die immer gleichen Fragen:

  • Wo kann ich mich gut konzentrieren und ordentlich arbeiten?
  • Was hilft mir beim Lernen?
  • Wer unterstützt mich beim Lernen?
  • Wann muss mich meinen Platz verändern?

    Danach entscheiden sie, mit wem, wo und meistens auch was sie nun genau bearbeiten. Als Hilfsmittel stehen ihnen diverse gestaltete Lernräume zur Verfügung: Ein Gruppentisch (am liebsten außerhalb des Klassenzimmers), eine ruhige Leseecke, ihr Lernbüro, der Boden, dafür Tablet-Ständer, um einen guten Untergrund zu haben, Decken, Isomatten (z.B. auch, um draußen zu arbeiten), Sitzkissen, Gymnastikbälle, Arbeitsplätzen im Stehen oder Knien und noch einiges mehr. Eine gute Inspirationsquelle für flexibles Sitzen finde ich übrigens die Lehrerin und Bloggerin „frau f aus w“ – ihren Instagram-Account kann ich sehr empfehlen, da sie eine realistische und sinnvolle Umsetzung des „Flexible Seatings“ zeigt.
    Das Finden des eigenen Lernortes geht zügig, ich zähle immer von 10 rückwärts und am Ende beginnt die Arbeitsphase. Sollten zu viele Kinder an den gleichen Ort wollen, klären sie es meistens untereinander, bei größeren Problemen unterstütze ich sie bei der Lösungsfindung.

Reflexion als Zaubermittel für den Lernprozess

Anfangs sind solche flexiblen Phasen sehr kurz und eng geführt, doch mit der Zeit ist es möglich, die Kinder immer selbstständiger in ihr Lernen zu entlassen. Dazu gehört allerdings eine intensive und regelmäßige Reflexion. Am besten direkt am Ende der Phase, manchmal ist das nur ein kurzer „Daumen-Check“, manchmal äußern sich 2-3 Kinder zu ihrem heutigen Lernen. Immer freitags gibt es ein großes Reflexionsgespräch, bei dem wir uns die oben vorgestellten Fragen ansehen und jedes Kind sich Gedanken zu seinen aktuellen Erfahrungen macht.

Gibt es Kinder, die mich beim Lernen echt voranbringen? Gibt es Freunde, die ich lieber in der Pause zum Spielen um mich habe? Welche Umstände müssen wir verbessern? Gibt es offene Probleme?

Innerhalb dieser Gesprächskreise sind schon gemeinsam mit den Kindern tolle Ideen entstanden, nach denen wir im Zimmer wieder etwas umgestellt oder die Arbeitsphasen verlängert haben. Natürlich gibt es auch immer wieder Kinder, die man enger begleiten muss in diesem Prozess. Gerne mache ich mit ihnen dann zwei oder drei Lernort-Möglichkeiten aus, die sie zunächst einmal ausprobieren und üben, bevor wir es mehr öffnen. Manchmal muss es auch regulatorische Eingriffe meinerseits geben und ich trenne Kinder bewusst. Meistens ist aber nach kurzer Zeit keine Vorgabe mehr durch mich nötig, da innerhalb der Reflexion ein Bewusstsein für das entsteht, was ihnen gut tut beim Lernen. So fühlen sich die SchülerInnen gesehen und ernst genommen in ihren Bedürfnissen und Wünschen.

Zu sehen, wie sie sich immer mehr ihres eigenen Lernens bewusst werden, Erfolge feiern, weil sie selbstbestimmt etwas verändert haben, Lernpartnerschaften entstehen, ohne dass ich Kinder zueinander zwinge und sie sich trauen, verantwortlich für ihr Arbeiten zu sein – das sind für mich unendlich wertvolle Momente!

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4 Gedanken zu „Flexibles Sitzen (3): Flexible Arbeitsphasen wagen

  1. Katharina

    Wie toll, vielen Dank für diese Einblicke! Ich möchte nach den Sommerferien mit dem Flexiblen Sitzen mit meiner dann neuen 1. Klasse starten. Wie machst du es z.B. in der ersten Stunde, dem ersten Tag, der ersten Woche? Wie führst du es genau ein: wie verteilen sich die Kinder ganz am Anfang, wie begegnest du Überforderung und Unsicherheit?
    Meine Idee ist es, auch „Stammplätze“ zuzulassen für Kinder, die gar nicht flexibel Sitzen möchten. zudem habe ich aus Platzgründen nur 18 „Tisch-Plätze“ + 7 Plätze an Bänken, Tablettischen und im Stehen. Und wie machst du es beim Frühstück? Oder haben bei dir alle Kinder zusätzliche inen Tisch-Platz?

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    1. Lisa M. Beitragsautor

      Danke, Katharina! Am Anfang habe ich meine Kids tatsächlich damit erst einmal konfrontiert – und ja, manche sind erst einmal überfordert. Ich lasse sie zunächst völlig frei einen Platz wählen (schreibe ich auch an die Tafel bei Älteren) und bespreche dann sofort nach Beginn die Grundregeln (z.B. die täglich neue Wahlmöglichkeit). Die „Gadgets“ wie Tablettische, Steharbeitsplätze usw. habe ich Stück für Stück vorgestellt, ein Tool pro Woche. Dann durfte es ausprobiert werden und ich habe das häufig reflektiert. Danach steht es dann zur freien Verfügung. Aktuell habe ich pro Schüler*in tatsächlich auch einen Tisch. Wenn du das nicht hast, würde ich die Plätze von Anfang an etablieren und ebenfalls jeden Tag neu wählen lassen – unbedingt Vor- und Nachteile besprechen und welche Arbeitsform dazu passt. Ich nehme auch jede Unsicherheit ernst und Kinder, die besser an einem festen Stammplatz arbeiten, dürfen das – das ist Teil der in der Klasse besprochenen Regeln. Bei einer gemeinsamen Brotzeit bin ich recht entspannt, da können sie sich ja auch gemeinsam an einen Tisch setzen oder auf Bänke. Viel Spaß beim Ausprobieren und nur Mut. Es kann ja nichts passieren, im allergrößten Notfall legst du erstmal für einen Zeitraum Plätze fest und öffnest langsamer, beispielsweise durch wöchentlichen Wechsel. Liebe Grüße!

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  2. Doro

    Vielen Dank für alle Hinweise und Einblicke. Sie bestärken mich, die gewohnte Sitzordnung zu ändern. Daher gehen mir die gleichen Fragen wie Katharina durch den Kopf. Ich möchte nach der Ferien mit meiner neuen 1. Klasse mit flexiblem Sitzen starten und bin über die Art der Einführung recht unsicher. Über Tipps dazu würde ich mich sehr freuen!

    Antworten
    1. Lisa M. Beitragsautor

      Hallo Doro! Wie schön, ich kann dich nur ermutigen, es lohnt sich so sehr. Ich hoffe, die Antwort bei Katharina hilft dir, sonst schreibe gern noch einmal konkrete Fragen oder aber auch deinen Erfahrungsbericht! Ich freue mich über Austausch! Liebe Grüße und viel Spaß beim Testen!

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