Nach einer meiner Religionsstunden im Referendariat kam meine Mentorin auf mich zu und sagte zu mir: „Versuch‘s mal mit dem Erzählen statt dem Vorlesen!“ Ein Anflug von Panik kam in mir auf. Im Referendariat muss ohnehin alles perfekt auf die Zeit abgestimmt ablaufen und das gelang mir wunderbar mit meinen Karteikarten. Jetzt sollte ich Geschichten frei erzählen, statt sie vorzulesen? Ich zögerte, da ich dadurch weniger Kontrolle haben würde, aber sah natürlich die Berechtigung in ihrer Aussage. Und so setzte meine Mentorin den Startschuss für eine der besten Arten, den Religionsunterricht zu gestalten: Das freie Erzählen!

Wenn ich heute an meine Kindheit zurück denke, liebte ich die ausgedachten und frei erzählten Geschichten meiner Mutter! Mein jüngerer Bruder und ich hörten immer wie gebannt zu, was die Figuren im Verlauf der Geschichte alles erlebten.

Die Bibel – ein Buch voller mündlich überlieferter Geschichten

Ein großer Teil des Religionsunterrichts beschäftigt sich mit Geschichten aus der Bibel. Geschehnisse, die die erste Zeit nur mündlich überliefert wurden, bis sie später aufgeschrieben wurden. Hätten Menschen die Geschichten nicht einfach frei und unverblümt über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte weitererzählt, könnten wir heute nicht in der Bibel nachlesen, wie es Jesus, Josef oder Moses ergangen ist, mit was sie zu kämpfen hatten und wie Gott in ihrem Leben wirkte.

Freies Erzählen ohne Hilfsmittel legt den Fokus auf die eigenen, inneren Bilder.
(Foto: stock.adobe.com / edward_indy)

Wie frei erzählen?

Einfach starten?! Okay, ganz so einfach ist es doch nicht… man muss natürlich auch das freie Erzählen von Bibelgeschichten vorbereiten. Denn man muss die Geschichten inhaltlich kennen. Nicht alle auswendig -das wäre unrealistisch bei den vielen anderen Fächern, die man noch zu unterrichten hat- aber grob. Hier ein kleiner Leitfaden:

  • Lies dir die Geschichte oder den Abschnitt der Geschichte in der Bibel durch.
  • Drucke dir die Geschichte als Backup aus und markiere dir die wichtigsten Schlagwörter. Du kannst auch alles handschriftlich machen, also dir einfach direkt Stichpunkte zur Geschichte herausschreiben.
  • Nun probst du, die Geschichte auf dem Zettel relativ frei zu erzählen. Spicken erlaubt! [Niemand -vor allem nicht die Kinder- erwartet, dass man ganz ohne Notizen auskommen muss.]
  • Schmücke die Teile aus, die besonders das Interesse der Kinder wecken, wo sie besonders aufmerksam zuhören oder Abschnitte, die sie witzig finden.
  • Variiere in der Sprechart. Sprich mal lauter oder leise, neutraler oder spannender.
  • Verändere auch deine Stimmlage, wenn du unterschiedliche Personen sprechen lässt. Und selbst, wenn du bei den letzten beiden Punkte noch etwas gehemmt bist: Du wirst den Unterschied zum Vorlesen trotzdem spüren, denn jetzt kannst du viel öfter den Blickkontakt zu den Kindern herstellen. Sie werden dir an den Lippen hängen und viel aufmerksamer sein, als wenn du die Geschichte z.B. aus einer Kinderbibel vorliest.

Ein Plädoyer gegen das Vorlesen?

Absolut nicht! Es gibt so viele schöne Kinderbücher mit gesellschaftlich relevanten Themen und wunderschönen Zeichnungen. Beim Vorlesen werden andere Sinne geschult. Die Kinder müssen sich stärker konzentrieren, hören komplexere Satzstrukturen und müssen mit einem umfangreicheren, weniger umgangssprachlichen Vokabular umgehen. Im Deutschunterricht (oder im entspannten Umfeld Zuhause) absolut nachvollziehbar. Im Religionsunterricht aber darf der Fokus auch mal auf dem entspannten Zuhören von frei erzählten Geschichten liegen. Das Ziel ist es hierbei, dass die Kinder ihre eigenen Bilder zu der Geschichte entwickeln und wie eine Art Film im Kopf „sehen“. Traut euch!
 

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