Der Zeugnis-Tag – Aufregend wie eh und je

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Wenn ich mich an meine eigenen Zeugnistage erinnere, weiß ich noch, dass ich immer aufgeregt war. Es ist schon etwas Besonderes, so schwarz auf weiß zu lesen, wie gut man in der Schule ist oder eben nicht. Und nicht nur man selbst liest es, sondern auch die Eltern. Nach wie vor ist das Zeugnis für die Eltern fast wichtiger ist als für das Kind. Schon im Vorfeld ist bei Gesprächen herauszuhören, dass die Angst da ist, die 3 in Deutsch könnte zu einer 4 werden und dass es bis zum Zeugnis doch noch Zeit ist, das Defizit aufzuholen. Um dem Zeugnis eine nicht ganz so große Gewichtung zu geben, handhabe ich es so, dass wir es feiern. Jedes Kind hat auf seine Weise etwas geleistet und diese Leistung wird dokumentiert. Nicht mehr und nicht weniger. Schon vorher versuche ich, den Eltern und den Kindern zu vermitteln, dass es nicht wichtig und nicht richtig ist, das eigene Kind mit dem Nachbarskind zu vergleichen, sondern mit sich selbst. Das geht natürlich erst, wenn es mindestens das zweite Zeugnis bekommt.

Zwei Erzählrunden

Wie in jeder Schule erfolgt die eigentliche Ausgabe des Zeugnisses erst in der dritten Schulstunde. Die ersten beiden Stunden gilt es nun zu verbringen, wobei die Spannung besteht, gerade wenn Kinder nicht wissen, welche Noten sie erwartet und die Leistung für das gewürdigt wird, was im letzten Schuljahr geleistet wurde. Der Klassenraum wurde schon aufgeräumt, Materialien mitgegeben und die Regale sind ungewohnt leer. Wir haben es schön! Kein Chaos, sondern Ordnung, wie bei einem zu erwartendem Besuch. Ich habe mir angewöhnt, das Positive in den Vordergrund zu stellen. Wir beginnen mit einem Erzählkreis. Der ist bei meinen Schülerinnen und Schülern sehr beliebt in meiner zweiten Klasse und es ist außergewöhnlich, dass der Erzählkreis mitten in der Woche ist und nicht nur, wie sonst, montags nach dem Wochenende. Die meisten Kinder erzählen von ihren bevorstehenden Ferien. Das Zeugnis steht gar nicht im Vordergrund. Das liegt vielleicht auch an der Tatsache, dass es in der zweiten Klasse noch keine Noten gibt. Nach dem Erzählkreis stellen sich die Kinder in zwei Kreisen auf. Einen Innen- und einen Außenkreis, so dass sich immer zwei Kinder gegenüberstehen. Das Kind aus dem Innenkreis sagt seinem Gegenüber etwas, was ihm in diesem vergangenen Schuljahr positiv aufgefallen ist. Es geht nur um das Schuljahr und darf ausschließlich positiv sein. Da meine Schülerinnen und Schüler ähnliche Übungen kennen, ist ihnen diese Aufgabe nicht fremd und gelingt gut. Die Zeit ist begrenzt auf zwei Minuten. Ein akustisches Signal weist darauf hin, dass sich der Innenkreis um jeweils ein Kind nach links dreht und das Gegenüber wechselt. Drei Runden in dieser Form werden anschließend davon abgelöst, dass die Kinder aus dem Außenkreis sagen dürfen, was dem Partner gegenüber gut gelungen ist. Je nach Intensität dauert diese Aktion 10 bis 15 Minuten. In der anschließenden Reflektion stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, einem anderen Kind, das man sonst gar nicht so im Blick hat und nicht zum Freundeskreis gehört, etwas Nettes zu sagen. Kinder zu sensibilisieren, den Blick auf das Gute zu fokussieren, ist mein Ziel und mit diesem Start erhoffe ich mir, jedes auch noch so schlechte Zeugnis in ein Licht zu rücken, das dem Kind sagt „Du bist gut so, wie Du bist“.

Ein Festmahl zum Zeugnis

Unser Frühstück vor der ersten großen Pause ist am Zeugnistag auch etwas Besonderes. Ich habe es zum Ritual gemacht, eine Art kleines Festessen zu gestalten. Ein Tisch wird schön gedeckt und jedes Kind legt seine mitgebrachten Sachen darauf. Im Vorfeld habe ich die Eltern darüber informiert, dass wir gesundes Fingerfood benötigen und wir kein Geschirr zum Abwaschen produzieren wollen. Es ist eine schöne Atmosphäre. Gemeinsames Essen und Trinken und das mal nicht, weil Fasching oder eine Aktion im Sachunterricht zum Thema "Gesundes Frühstück" ist, sondern einfach, weil wir es uns gut gehen lassen. Die Zeugnisausgabe in der dritten Stunde ist schon fast feierlich. Jedes Kind liest leise sein Zeugnis und fragt hin und wieder nach. Ich habe festgestellt, dass durch unser Rahmenprogramm im Vorfeld kein Kind traurig ist, wenn es im Sozialverhalten nicht das erwartete „B“ bekommt, sondern nur ein „C“. Das einzelne Kind zu stärken, ihm zu sagen „Du bist wunderbar“, ist mein Ziel und soll durch ein Zeugnis nicht zerstört werden.

 

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